Das WID-Wissenschaftsbarometer stellt Zukunftsfragen
Diese Woche wurde von Wissenschaft im Dialog zum zweiten Mal ein „Wissenschaftsbarometer“ veröffentlicht. Hier ein zusammenfassender Bericht (1).
In der Umfrage sind auch zwei Fragen zur Zukunft enthalten:
a) Welchen Forschungsbereich finden Sie persönlich für die Zukunft am Wichtigsten?
(Tabelle 15.1: Wichtigster Forschungsbereich für die Zukunft)
b) Wie wird Ihrer Meinung nach Wissenschaft und Forschung das Leben zukünftiger Generationen beeinflussen?
(Tabelle 16.1: Einfluss der Wissenschaft auf die Zukunft)
zu a). Als (persönlich) wichtigste Wissenschaftsgebiete für die Zukunft wird „Gesundheit und Ernährung“ von 47 Prozent genannt – vom Ranking her keine Überraschung, weil Essen und Krankheitsbehandlung alle Menschen täglich und viele intensiv betrifft. Im Vorjahr war das Thema allerdings mit 50 Prozent leicht höher gewertet. Platz zwei hat Klima und Energie mit 35 Prozent (2014: 37). Einen großen Sprung machte die „Innere Sicherheit“ von 5 auf 10 Prozent. Kommunikation und Digitalisierung – von Experten als DAS wissenschaftliches Zukunftsthema gehandelt, und auch in die Alltagswelt der Bevölkerung schon vorgedrungen – kommt auf schlappe vier Prozent (2014: auch nur drei). Ein Befund der Rätsel aufgibt. Ebenso im Autoland Deutschland die Bewertung des Forschungsfeldes Mobilität (dem mit E-Autos und autonomen Fahrzeugen nun wirkliche Veränderungen bevorstehen): für die Bevölkerung gleichbleibend nur zu drei Prozent zukunftsrelevant.
An der Themensetzung der Umfrage ist Kritik zu üben. Vor allem die Clusterung der beiden Großthemen senkt die Aussagekraft. Wie sie etwa bei der Gegenwarts-Einschätzung – Vertrauen – bei den Themen Klimawandel und Erneuerbare Energien differenzierter möglich ist.
Die selbe Firma TNS erstellt für die EU-Kommission ein gleiches Wissenschaftsbarometer („Eurobarometer“), das zuletzt im Oktober 2014 veröffentlicht wurde. (2)
Dort werden – ebenfalls in die Zukunft hinein – Prioritäten für FuI in den nächsten 15 Jahren – des Themen differenzierter aufgerollt:
1. Fight against climate change
2. Protection of the environment
3. Security of citizens
4. Job creation
5. Energy supply
6. Health and medical care
7. Protection of personal data
8. Reduction of inequalities
9. Adaptation of society to an ageing population
10. Availability and quality of food
11. Transport and transport infrastructure
12. Education & skills
13. Quality of housing
Der Vergleich der Deutschland-Werte im Euro-Barometer mit denen der aktuellen WiD-Umfrage fördert interessante Aspekte zu Tage. Auch in Europa sehen die Deutschen die Gesundheit als das wichtigste Forschungsthema an (43 Prozent). Allerdings sind sie mit dieser Priorität die letzten im Europa-Konvoi. Und zwar deshalb, weil ihnen andere Wissenschaftsthemen für die Zukunft fast genauso wichtig sind. Platz 2 nimmt die Energieversorgung ein (40 %) vulgo Energiewende, das ist europäischer Top-Wert zu diesem Thema. Auch das Klima wird zu 33 % genannt. – Dieses feinere Ranking und auch die europäischen Vergleiche gehörten genauer analysiert.
Zu b) Bei dieser Frage geht um generelle Zukunftserwartungen. Der Antwort „Alles in allem werden Wissenschaft und Forschung in Zukunft zu einem besseren Leben führen“ stimmen 24 Prozent zu. Das ist zwar nicht die Mehrheit, aber schon ein nennenswerter Zuwachs gegenüber dem Vorjahr, als es nur 15 % so sahen. Die meisten – 64 Prozent (2014: 72) – geben die Antwort: „Wissenschaft und Forschung werden sowohl Verbesserungen als auch Probleme mit sich bringen.“. Die Pessimisten, die sich der Antwort „Alles in allem werden Wissenschaft und Forschung zu mehr Problemen für zukünftige Generationen führen“ anschlie0en, kommen auf zehn Prozent, im Vorjahr 11.
Wo sind die meisten Optimisten anzutreffen, örtlich, sozial und generativ? Die Ostdeutschen sind mit 28 % deutlich zukunftspositiver (immer bezogen auf den Einfluss der Wissenschaft) als die Westdeutschen mit 23 %. Allerdings: Bei der Ländersicht kommen sowohl der Norden Deutschlands (SH, NS, HH, HB) wie auch Deutsch-Ostsüd (TH, SN) auf je 31 Prozent Zukunftsoptimisten. BaWü schließt mit 30 % sofort an. Berlin liegt mit 22 % im Mittelfeld (hat aber auch null Pessimisten!). NRW hat mit 16 Prozent die wenigsten Optimisten und mit 15 Prozent die meisten Zukunftspessimisten (sowohl-alsauch: 67 %) – ein Land, das noch nicht recht weiß, was es von der Zukunft halten soll.
Die Männer sind mit 31 Prozent sehr viel zukunftsoptimistischer als die Frauen mit 18 Prozent. In den Altersgruppen wird der höchste Wert mit 39 % bei den 30-39-jähringen erreicht. Bei der Jugend (14-29 J.) ist kein gesteigerter Zukunftsoptimismus zu erkennen: 23 %. Die Pessimisten sind mit 10 Prozent als in den Altergruppen 30-49 Jahre. Für das Thema „Zukunft“ ist diese Jugend keine Power-Group, jedenfalls mengenmäßig.
Bei den Bildungsschichten haben die Akademiker mit 27 Prozent den höchsten Positiv-Wert.
Wer Arbeit hat, ist zu 24 % Zukunftsoptimist, zu 5 % Pessimist. Bei den Einkommensklassen ist es bei den Zukunftsoptimisten durchmischt. Wer ein Haushaltseinkommen von über 3500 Euro im Monat hat, ist zu 30 % zukunftszuversichtlich, aber auch die Haushalte mit 1500-2000 Euro Budget antworten mit 34 Prozent (fast drei mal so viel wie die Einkommensgruppe 3000-3500 Euro mit 12 Prozent). Bei den Zukunftspessimisten ist die Sache klar: 23 Prozent der Haushalte unter 1000 Euro Einkommen sehen mehr Zukunftsprobleme durch die Wissenschaft, auch die Gruppen bis 2000 Euro kommen auf 15 bzw 18 % Negativquote. Wer arm ist, hat mehr Zukunftsangst.
Manfred Ronzheimer
(1) http://www.innomonitor.de/index2.php?id=132&be=3842
(1a) www.wissenschaftsbarometer.de
Alle Daten und Grafiken
(1b) Die aufgeschlüsselten Daten für 2015 (136 Seiten)
(1c) Die aufgeschlüsselten Daten für 2014 (112 Seiten)
http://www.wissenschaft-im-dialog.de/fileadmin/user_upload/Projekte/Wissenschaftsbarometer/Dokumente/Ergebnisse_Wissenschaftsbarometer2014_Subgruppen.pdf
(2) Special Eurobarometer 419 “Public Perceptions of Science, Research and Innovation” (6.10.2014)
http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_419_en.pdf
Sehr gute Darstellung, Manfred. Danke!
Zu ergänzen wäre vielleicht noch Folgendes:
— Du hast es selbst kurz erwähnt: Es ist irreführend, Klima und Energie in einen Topf zu werfen, wie im „Wissenschaftsbarometer“. Das führt in die falsche Richtung, weil es suggeriert, dass sich der Klimawandel durch die Konzentration auf Energie und ingenieurtechnische Lösungen in den Griff bekommen lasse. Das richtige Assoziationspaar wäre Klima und Konsum. Das ist die Schwachstelle sowohl des „Wissenschafts-„, wie auch des „Eurobarometers“. Alle Fragen beziehen sich nur auf Wissenschaft und Technik. Sie suggerieren auf diese Weise ganz nebenbei, dass die Klimaprobleme — aber auch die Gesundheitsprobleme — technisch schon irgendwie in den Griff zu bekommen seien, so dass wir unsern Lebensstil, unsern Konsum nicht ändern müssen.
— Hinzu kommt, dass die Befragten im „Wissenschaftsbarometer“ den Aussagen von Wissenschaftlern zu Erkenntnissen der Klimaforschung wenig Vertrauen schenken. 62 Prozent sind unentschieden oder misstrauen ihnen sogar.
— Eine wichtige Information ist auch, dass das „Wissenschaftsbarometer“ zeigt, dass die ganzen PR-Veranstaltungen der Wissenschaft, wie die Nächte der Wissenschaft, die Tage offener Türen oder Vorträge, kaum jemanden interessieren, auch nicht die so genannten „besser Gebildeten“. 84 Prozent der Befragten waren noch nie bei einer Veranstaltung mit wissenschaftlichen Themen, 80 Prozent noch nie bei einer Nacht der Wissenschaft.
— Für uns Journalisten lehrreich: Die Mehrheit der Befragten bekommt ihre Informationen nach wie vor aus dem Fernsehen (66 Prozent oft und manchmal). An zweiter Stelle kommen recht abgeschlagen die Printmedien (52 Prozent oft und manchmal). Das Internet als Informationsquelle für 42 Prozent der Befragten spielt dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Letzteres umso mehr, als dort in der Regel nur Informationen aus Fernsehen und Printmedien wiedergekäut werden. Die große Frage ist, warum der Hörfunk völlig vergessen wurde. Schließlich ist das Radio für die letzten Autofahrer, in Werkstätten und vielen Büros eine wichtige Informationsquelle. Summa summarum heißt das aber für Journalisten, dass sie sich mehr um eine Bildprache bemühen müssen, etwa durch bessere Formen der Filmsprache, oder auch mit Pageflow oder wie es „Substanz“ versucht. Eine andere Möglichkeit wäre Internet-Fernsehen . Und vielleicht sollte man die Radiohör-Gewohnheiten noch mal genauer unter die Lupe nehmen.
— Für die Macher der „Wissenschaftsdebatte“ lehrreich: Was die unterschiedliche Bildung der Befragten angeht, so mag das „Wissenschaftsbarometer“ zeigen, dass die „Bildungsferneren“ weniger an Wissenschaft und Technik interessiert sind, aber es sind vor allem die Menschen mit Hauptschulabschluss, die sich finden, dass sich Wissenschaftler zu wenig bemühen, die Öffentlichkeit über ihre Arbeit zu informieren (46 Prozent). Bei denen mit Abitur und Universitätsabschluss sind es nur 33 Prozent. Als schwache Tendenz spiegelt sich auch in den Einkommensgruppen wider: Bei den Geringverdienern mit weniger als 1.000 EUR im Monat finden das 43 Prozent, übertroffen von denen mit hohem Einkommen über 2.500 EUR (47 bis 46 Prozent). Vor allem sind es auch diejenigen mit Haupt- und Mittelschulabschluss, die fordern, dass die Bürger über die Verwendung von Forschungsmitteln entscheiden (46 und 47 Prozent). Unter den Geringverdienern mit weniger als 1.000 EUR im Monat will das sogar eine satte Mehrheit von 56 Prozent. Für die Macher der „Wissenschaftsdebatte“ sollte das zur Konsequenz haben, sich mehr um das Gespräch mit den so genannten bildungsfernen und die ärmeren Menschen in der Gesellschaft zu kümmern.
— Insgesamt sollte man dem „Wissenschaftsbarometer“ aber nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken, weil es, wie auch Du bemerkst, zu viele handwerkliche Fehler hat und in seiner Gesamtschau auf einen durchaus suggestiven Fragenkatalog aufgebaut ist.